Seit drei Jahren bin ich finanziell frei. Das geht und ging gut. Ich habe allerdings bis vor einem halben Jahr immer noch dazuverdient. Heißt, ich hatte meinen wunderbaren Geldpuffer, habe aber meine laufenden Ausgaben von meinen freiberuflichen Einkünften und Mieteinnahmen finanziert.
Nun mache ich seit etwa sechs Monaten ein anderes Experiment. Ich verdiene kaum noch was. Mein Mann macht dies schon länger. Heißt, in unseren finanziellen Stausee fließt nichts mehr hinein. Das Bild kam mir neulich und ich fand es sehr brauchbar. Unsere Finanzen als Fluss mit Stausee. Über Jahrzehnte floss oben viel rein, es floss auch ein bisschen was ab, aber über unsere Staumauer hat sich der Geldsee doch ganz gut gefüllt. Selbst in den letzten Jahren, mit einem vollen Stausee, kam immer noch genug oben rein, um den Wasserstand letztlich zu halten. In den letzten sechs Monaten war das nicht mehr der Fall. Wenn ich kritisch drauf schaue, haben wir eben nicht nur von unseren Mieteinnahmen und sonstigen Kapitaleinkünften gelebt, sondern wir haben eben auch unseren Staudamm ein bisschen geöffnet und Geld abfließen lassen. Natürlich gibt es exakte Wasserstandsberechnungen, dass das Wasser im See trotzdem bis zum Lebensende reichen wird. Dennoch bin ich überrascht, wie unruhig mich das macht. Nun habe ich mich gefragt, woher die Unruhe kommt.
Zeit für Unruhe und Sorgen
Ich mache gerade sehr wenig. So insgesamt. Da bleibt viel Zeit um unruhig zu sein. Um akribisch eine Exceltabelle nach der nächsten zu bauen, um zu schauen, ob alles auch wirklich, wirklich und sicher funktioniert. Ich habe entsprechend auch viel Zeit, um mich in Sachen Finanzthemen schlau zu machen. Nicht jede Lesequelle zeichnet unsere allgemeine finanzielle Zukunft rosig. Im Gegenteil. Es gibt auch superkritische Stimmen. Meinem Stausee könnte ein Verlust drohen, den ich gar nicht steuern kann.
Es fehlen Rollenvorbilder
Es gibt für mich wenige Menschen, an denen ich mich orientieren könnte. Ich kenne zwar inzwischen einige finanziell freie Menschen. Meist aber nur übers Netz. Wie der Umgang mit den eigenen Ängsten aussieht, weiß ich nicht so genau. Obwohl alle, mit denen ich bisher gesprochen habe, auch von umfangreichen Excel-Tabellen gesprochen haben. Diese Ähnlichkeit tröstet mich ein bisschen.
Luxus vs. Sicherheit
Ich bin Millionärin und lebe super sparsam. Für viele ist das ein Widerspruch. Für mich manchmal auch. Dann rede ich mit meinem Mann und wir planen kleine und größere Luxusprojekte. Unsere neue Küche gehört dazu. Seit zwei Jahren haben wir jetzt auch ein Auto. Zum ersten Mal. Wir gönnen uns mehr Reisen und ja, bei diesen steigt auch der Standard. Ganz langsam steigen unsere laufenden Kosten. Ja, und das macht Spaß. Aber es macht auch Angst. Denn die ganzen Annahmen, die davon ausgehen, dass das Geld reichen wird, beruhen auf entsprechend niedrigen Ausgaben. Wenn diese schleichend steigen – weil es so viel Spaß macht – dann geht die langfristige Rechnung eben nicht mehr auf.
Was soll schon groß passieren?
Das stimmt. Viel wird nicht passieren. Selbst wenn jetzt zu viel Geld abfließt, dann werde ich eben nochmal ein bisschen arbeiten müssen und oben in den Fluss neues Wasser zum Stausee schicken. Oder ich werde mein Geld noch klüger anlegen und mein Geld besser vermehren. Oder die Zinsen steigen… Solange dies in den nächsten, sagen wir, 20 Jahren passiert, ist das alles kein Problem. Schwierig könnte es werden, wenn mir dies erst auffällt, wenn ich über 80 bin und keine Lust mehr hätte, zu arbeiten. Oder es auch schlicht nicht mehr könnte Aber davon bin ich noch gut 30 Jahre entfernt. Zumal ich ab dem Rentenalter eine gesetzliche Rente erhalten werde, die zwar nicht üppig ist, bei der ich mich aber in Gesellschaft mit vielen anderen Rentnerinnen wiederfinden werde.
„Das tut man nicht, einfach nicht mehr arbeiten“
Das ist ein Glaubenssatz, den ich selbst für mich nicht (mehr) habe, der aber dennoch in meinen Genen zu stecken scheint. Ob von meinen Eltern oder Generationen davor, genau weiß ich es nicht. Ja, ich habe schon viel gemacht, um ihn umzuformulieren, ihm neuen Sinn zu geben und meine eigenen neuen Glaubenssätze zu entwickeln. Trotzdem wirkt er noch. Er kommt immer wieder hoch. Oder besser gesagt, er liegt immer wieder in der Luft. Ob es bei der Frage bei einer Party ist, was ich beruflich mache. Oder ob es das schlechte Gewissen ist, wenn ich bei anderen Freundinnen mitbekomme, wie sehr sie teilweise kämpfen, um über die Runden zu kommen. Oder wenn ich morgens entscheide, einfach nur ein Buch zu lesen. Ich kann Euch sagen, der Satz ist da und lässt mich mindestens erstmal die Küche aufräumen. Dann noch ein Blogartikel und dann – zur Mittagspause – nehme ich das Buch in die Hand.
Wenn das Geld staut, sind die Gefühle im Fluss. Ich finde, dass beschreibt meinen Zustand gerade ganz gut. Wobei nicht nur das Geld, sondern auch die Aufgaben stauen. Da passiert wenig. Um so mehr passiert bei meinen Gefühlen. Allein schon, weil reichlich Zeit dafür ist. Vielleicht kann ich das alles auch nur so zusammenfassen, dass ich in den letzten Jahrzehnten viel Zeit mit Arbeit verbracht habe und wenig Zeit für Musse und für das Reinhorchen nach Innen hatte. Nun habe ich diese Zeit. Am Geld macht sich viel fest. Sicherlich gibt es aber auch noch Baustellen wie Identität und Zugehörigkeit, die ja auch viel mit beruflichen Identitäten zu tun hat. Ganz zu schweigen von Wertschätzung und Aufmerksamkeit. So als kleine Anekdote zum Schluss: Ich habe schon früh noch als Abteilungsleiterin über die Unmengen an E-Mails geklagt. Obwohl es schon eine Weile her ist, 30 bis 100 Mails am Tag, kein Problem. Auch als ich als Freiberuflerin gearbeitet habe, war das ein übliches Pensum. Und heute? Bis heute Mittag waren es gerade mal drei Mails. Ich bitte Euch, wie soll man da bei der nächsten Party gepflegt mitjammern?
Es gab beim Radiosender WDR2 oder WDR4 mal die Aktion „der WDR schenkt dir ein Jahr“. Gemeint waren 4 x 37.000 Euro, also 4 Personen, die ein Jahr lang je 37.000 Euro als Gehaltsersatz bekommen sollten. Man müsste Ideen einreichen, was man mit der Zeit anfangen wolle. Leider habe ich das Experiment nicht zu Ende verfolgt, aber allein das Nachdenken über ein Jahr Zeit zur freien Verfügung ist schon spannend. Würde ich weiter arbeiten gehen ? Würde ich die obligatorische Weltreise machen ? Oder ein Jahr lang caritativ arbeiten ? Oder eine Firma gründen ? Letztendlich sind diese Gedanken wieder über den Alltag in der Versenkung verschwunden. Aber schön wärs schon. Egal, was andere denken oder sagen. Man braucht angeblich 10000 Stunden, um in einer Tätigkeit wirklich gut zu werden. Da reicht ein Jahr gar nicht…. das einzige, was mir ( nicht finanziell unabhängig .. ) Sorgen macht ist die ständig steigende private Krankenkasse. Hat man ja keinen Einfluss drauf. Also mir würde es auch Unbehagen bereiten, wenn oben nix mehr reinkommen würde. Dann würde ich auf die Suche gehen – irgendwas erfinden oder gründen, was längerfristig doch wieder was reinbringt. Hört sich simpel an, aber eine gute Idee benötigt erst mal viele Fehlschläge. Aber macht nix, man muss es mal als „lernen“ ansehen. Klingt vielleicht altklug, aber etwas wirklich mal ausprobiert zu haben verleiht doch irgendwie innere Stärke. Nicht nur davon reden, tun. In diesem Sinne bastel ich mir gerade einen Webshop. Für den Handel mit Dekoartikeln. Einfach weil ich wissen will, ob es geht. Es gibt schon 100-erte andere davon. Aber ich habe Vertrauen in die Zeit: Zweifel sind immer sofort da, Klugscheisser gibt’s in Masse, aber Ideen kommen meist erst durch Beschäftigung mit etwas. Schon mit der Fragestellung „was könnte man anders machen“. Eigentlich habe ich kein Talent für Dekoartikel. Aber ich bin EDV-ler und kann einen Webshop konfigurieren. Zumindest mich da weiter einarbeiten. Der Rest kommt schon. Nen Gewerbeschein hab ich schon ein Jahr lang, testeinkäufe auch mal gemacht. Aber keinen Zeitplan, wann oder wie es laufen soll. Naja, das nur mal zum Thema, was ich mit Zeit treibe. Könnte ja genausogut Meditation üben. Aber das finde ich jetzt nicht so spannend. Naja, jeder Jeck ist anders. Aber viele Menschen haben doch mehr gemein, als sie glauben…
LikeLike
Schon ein faszinierender Satz dieser „Das tut man nicht, einfach nicht mehr arbeiten“…
Je nach eigener Herkunft kann einem der schon ziemlich tief und fest ins Gehirn gehämmert worden sein bis man überhaupt mal im Berufsleben angekommen ist.
Wer kennt sie nicht?
Die Eltern/Großeltern die über die viele Arbeit jammern – und letztendlich dabei doch nur ihrem Hobby „Gärtnern“ nachgehen.
Die Leute im Berufsleben die immer erst mal erwähnen müssen wie viel sie zu tun haben und wie gestresst sie doch sind – ist denen ein einfaches „Hallo“ zur Begrüßung inzwischen wohl zu mainstreamig?
Jeder dürfte solche oder ähnliche Fälle kennen.
Und auch ich erwische mich dabei wie ich mich immer wieder dran erinnern muss, dass ich gerade nichts verwerfliches tue, wenn ich mich einfach hinlümmle und spiele oder sonst etwas (im allgemeinen als Zeitverschwendung klassifiziertes) tue wonach mir einfach ist. Sogar am Wochenende den Fernseher einzuschalten obwohl es noch nicht abends ist kann sich falsch anfühlen. Und das obwohl ich als nicht finanziell-freier mir doch sogar einreden kann, dass ich mir das nach einer Woche Arbeit (zugegeben in einem Job den ich mag) nun doch wohl wirklich verdient habe die Beine hochzulegen.
Gut, die Gedanken kriege ich nicht wirklich los, aber darin sie zu ignorieren bin ich schon viel besser geworden und „scheiß“ dann einfach auf diese meine eigenen doofen Vorwürfe! 😀
Wobei man aber auch gerade in den Finanz-Blogs oft den Eindruck hat, dass viele zwar auf die große Freiheit hinarbeiten, sich dabei selbst aber teils übelst in Fesseln legen. Sei es nun jeglicher Verzicht, Selbstverwaltungsbürokratie per Haushaltsbuch oder missionarisches Predigen geben den Konsumteufel.
LikeLike
Hallo Monika,
entweder man hat Angst und Sorgen vor dem was kommen könnte oder man lebt zufrieden – beides geht nicht, so mal meine Einschätzung. Bin finanziell unabhängig und habe vor ca 8 Jahren meinen Job gekündigt. In der ersten Zeit habe ich mich auch mit div. Szenarien und Excel Tabellen beschäftigt. Inzwischen schaue ich nur noch zweimal im Jahr auf mein Portfolio und passe die Positionen ggfs an. Wichtig ist m.M.n. dass man klare (neue) Prioritäten verfolgt, wenn man aus dem Hamsterrad ausgestiegen ist. Das sind sehr unterschiedliche, sehr individuelle Dinge und vielleicht muss man das eine oder andere ausprobieren und auch scheitern. Aber letztlich findet man sicher Dinge, die einen selbst begeistern; Dinge, die der Zeit und Mühe Wert sind. Und ja, man sollte das was man macht auch mit Disziplin und Ausdauer verfolgen – jedenfalls meine Erfahrung. Ich grüble nicht jeden Tag darüber nach was alles schlimmes passieren kannst, sondern lebe mit viel Freude.
Tom
LikeLike
Hallo Monika,
ich glaube Dir gerne, dass Verzehr für den Kopf schwer ist. Glücklicherweise habe ich das noch nicht erleben müssen, aber irgendwann muss das Geld weg, weil nichts mitzunehmen ist. Aber vielleicht ist es einfach nur eine Stufe, die es zu erlernen gilt, so wie keine laufenden Einnahmen mehr zu haben. Das hast Du auch geschafft.
Nicht mehr arbeiten ist aber trotzdem eine Option, warum denn nicht. Ebenso wie genau das zu tun, woran man Spaß hat oder sich einfach selbst verwirklichen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es einfach nur Erziehung ist, von wem auch immer. Jeder hat nur ein Leben und dieses ist begrenzt. Eine Stunde damit zu verbringen was Spaß macht, Familie, Sport, Lesen oder Arbeiten, ist ein Stunde. Aber keinen Spaß auf der Arbeit zu haben um Geld zu bekommen, was man nicht braucht, warum? Das eigene Haus ist vielleicht kleiner und das Auto ist kein Ferrari, einige ärgern sich darüber, einige nicht.
Viele leben einfach in einem Automatismus und Freiheit ist eben nicht nur Zeit zu denken, sonder noch viel mehr. Da ist es eben einfacher alles so weiter zu machen, wie bisher. Und die Entscheidung ist nicht leicht, die Konsequenzen auch nicht.
Du bist eine Minderheit und das ist nie leicht, aber ich freue mich für Dich und für jeden anderen, der sich für Zeit entscheidet und gegen Geld. Vielleicht wird es irgendwann die Mehrheit, aber noch gewinnt (leider) Status. Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass mehr Leute lernen diesen Weg zu gehen und früher finanziell frei zu sein. 😉
Grüße, Alex
LikeLike